(FR-Bild: Georg Kumpfmüller)
        
        Fünf elektronische 
          Wege 
        Drei Uraufführungen, 
          eine Premiere und ein Kontrapunkt: Bl!ndman spielt am Freitag und Samstag 
          im Mousonturm 
        Das Saxophon-Quartett 
          Bl!ndman um den Belgier Eric Sleichim war im Mousonturm schon mit mehreren 
          Projekten zu erleben. Diesmal lautet der Arbeitstitel des Konzertabends 
          Blindman Electric. Drei Uraufführungen - von Helmut Oehring, Hubert 
          Machnik und Eric Sleichim - und die Premiere einer Bearbeitung von Stücken 
          des Komponisten Heiner Goebbels stehen auf dem Programm. Mit Sleichim 
          und dem Frankfurter Komponisten Hubert Machnik sprach FR-Redakteur Hans-Jürgen 
          Linke (Frankfurter Rundschau vom 29. August 2001).
        FR: Herr 
          Machnik, Ihre Komposition "ferner" geht zurück auf die Arbeit, 
          "empty rooms/leere räume". Mit welchem Material, mit welchen 
          Methoden haben Sie gearbeitet?
          Hubert 
          Machnik: Das Material besteht bei empty rooms aus Geräuschen, 
          die um Blindenampeln herum stattfinden, und ich habe ein heute sehr 
          übliches elektronisches Mittel verwendet, nämlich die Wiederholungsschleife. 
          Au§erdem habe ich das Audiofile gegenläufig, also von hinten nach 
          vorn und damit gegen unsere normale Zeitwahrnehmung, abgescannt. Der 
          Effekt ist eine erstaunliche Abstraktion: Die Schwerkraft des Analogen 
          nimmt ab, eine musikalische Wahrnehmung des Materials wird möglich. 
          In meinem Stück für Bl!ndman habe ich die gleiche Technik 
          benutzt, habe sie aber in einen Kontrapunkt zu einem harmonischen Rhythmus 
          gesetzt. Eine Grundidee darin ist, dass Zeit auf unterschiedliche Weise 
          gemessen wird und abläuft. Einige Elemente, wie dieser Rhythmus, 
          entsprechen unserer physikalischen Zeitempfindung. Die Schleifenbildung 
          und das Gegenläufige wird man nicht sofort deutlich hören, 
          es ist aber ganz essentiell für die Komposition. Außer den 
          Saxophonen gibt es eine elektroakustische Spur, die von den Musikern 
          auf der Bühne gesteuert wird. 
        Herr Sleichim, 
          die Arbeit mit Live-Elektronik aufder Bühne ist ein neues Element 
          in Ihrer Arbeit mit Bl!ndman.
          Eric Sleichim: Ich habe in meinen Solokonzerten schon mit Live-Elektronik 
          gearbeitet, aber das hier ist in der Tat etwas Neues. Für klassisch 
          ausgebildete Musiker ist es nicht leicht, Elektronik als Musikinstrument 
          zu benutzen. Sie halten sie meist eher für ein Spielzeug. An den 
          Musikakademien spielen selbst Komponisten wie Stockhausen, der schon 
          vor über 40 Jahren mit einer aus heutiger Sicht sehr archaischen 
          Technik ganz wunderbare Musik gemacht hat, kaum eine Rolle. Was mich 
          bei diesem Projekt interessiert hat, war die unermessliche Welt der 
          Klänge. Wir haben mit unseren verschiedenen Spieltechniken im Saxophonquartett 
          ohnehin schon eine große Fülle klanglicher Möglichkeiten. 
          Wenn wir die Elektronik dazu nehmen, wachsen diese Möglichkeiten 
          exponential. 
        In Ihrem Konzert 
          kommen aber fünf verschiedene Arten von das Verhältnis von 
          Elektronik und akustischen Instrumenten zugestalten.
          Eric Sleichim: 
          Sie meinen, weil es Musik von fünf Komponisten gibt? Es gibt natürlich 
          noch viel mehr. Als Ligeti im elektronischen Studio zu arbeiten begann, 
          hat er zum Beispiel Musikem elektronisch erzeugte Klänge vorgeführt 
          und sie das imitieren lassen. Letztes Jahr bin ich bei einer Komposition 
          genau umgekehrt vorgegangen. Ich habe Saxophonklänge elektronisch 
          bearbeitet und daraus orchestrale Texturen geformt; die einzige Begrenzung, 
          die ich mir gesetzt hatte, war, nicht mit Schleifen und Vervielfachungen 
          zu arbeiten. Ich war erstaunt, was für kompakte Texturen dabei 
          entstanden sind - und alles kam aus einem akustischen Instrument. Bei 
          Helmut Oehring hat mich schon in seiner Arbeit mit klassisch denkenden 
          Musikem überrascht, was für Klänge er findet. Dazu kommen 
          noch die Klänge, die er mit der Bearbeitung von konkretem Material 
          - zum Beispiel Stimmen - dazu gewinnt. Hubert arbeitet, wie wir eben 
          gehört haben, ganz anders mit der Elektronik. Steve Reichs New 
          York Counterpoint ist ursprünglich eine Komposition für Solo-Klarinette 
          und zehn Klarinetten auf dem Tonband, ein sehr typisches, repetitives 
          Reich-StŸck und strukturell das einfachste, weil das Band nur die Anzahl 
          der Musiker vervielfacht. FŸr das Quartett bietet sich also an, dass 
          wir vier Musiker auf der Bühne und sieben auf dem Band haben. Mein 
          Stück Domestic Disruptions geht von einer dramatischen Idee 
          aus, die von dem Film Das Fest von Thomas Winterberg ausgeht, 
          eine sehr heftige Familiengeschichte. Es gibt darin eine sehr direkte 
          Art von Dialogen nach dem Aktions-Reaktions-Schema, und ich verwende 
          diese Dramaturgie in meinem Stück. Die Instrumente werden dabei 
          nicht wie normale Saxophone verwendet. 
        Der Titel Ihrer 
          Heiner-Goebbels-Bearbeitung heißt Stadt Land Fluss und 
          verweist auf die räumlichen, fast geografischen Themen, mit denen 
          Heiner Goebbels sich in seinen Stücken befasst. Ihre Arbeit, Herr 
          Machnik, hat weniger diese räumliche Thematik als vielmehr die 
          der Zeit.
          Hubert Machnik: Die ursprüngliche Idee für empty 
          rooms / leere räume bezog sich ebenfalls auf den Raum und ging 
          von den Gegebenheiten einer Installation aus, also von ganz anderen 
          Bedingungen. Das ist jetzt anders. Ich habe viel Arbeit darauf verwendet, 
          die Möglichkeiten, die ich mir erarbeitet habe, mit einem harmonischen 
          Rhythmus zu verbinden, und bin zu einem Ergebnis gekommen, das für 
          mich überraschend genug war und dennoch die ursprüngliche 
          Idee in der Aufführungssituation widerspiegelt. In dieser Spannung 
          steht das Stück. Es wäre also genau genommen auch dann ein 
          elektronisches Stück, wenn es die Elektronik gar nicht auf der 
          Bühne gäbe, weil es aus der Erfahrung der Arbeit mit dem elektronischen 
          Instrumentarium entstanden ist. 
        Die Arbeit mit 
          Elektronik bedeutet für Sie also weniger die Erweiterung klanglicher 
          Möglichkeiten, sondern beinhaltet eher eine Reihe kompositorischer 
          Prinzipien bei der Bearbeitung des Materials.
          Hubert 
          Machnik: Das ist ein Aspekt. Es gibt auf der Bühne auch Live-Elektronik, 
          die von den Musikem gesteuert wird, was mir als konsequente Haltung 
          zum Material erscheint. Es geht mir aber in der Tat weniger darum, den 
          Klang des Instruments zu verändern, sondem um grundsätzliche 
          Herangehensweisen. 
        Sie sind dabei, 
          wenn das Quartett Ihr Stück probt. Gibt es in Ihrer strengen Notation 
          noch interpretatorische Gestaltungsräume, die Ihre Anwesenheit 
          bei den Proben nötig machen ? 
          Hubert Machnik: Es gibt immer noch Spielräume, die in den 
          Proben gefüllt und gestaltet werden. Ich habe schon in Brüssel 
          mit dem Quartett gearbeitet und danach noch verschiedene Entscheidungen 
          über die Klanglichkeiten und über Details in der Gestaltung 
          der Zeitstrukturen getroffen, und dieser Prozess ist noch nicht am Ende. 
          
        Herr Sleichim, 
          bei Ihrer szenisch-musikalischen Zusammenarbeit mit VA Wölfll sind 
          Sie im letzten Jahr zu einer sehr ausdrucksvollen Art der Leere gekommen. 
          Wird das diesmal anders ?
          Eric 
          Sleichim: Ich habe keine Angst vor Leere, aber ich versuche auch 
          für ein Konzert immer ein szenisches Arrangement zu finden, das 
          auf die Musik reagiert. Vielleicht hilft es den Leuten, sich in Stücke 
          hinein zu begeben, die sie noch nicht kennen. Man muss auch beim Konzert 
          den Raum immer mitdenken.